Zum Inhalt springen

Sozialgesetzgebung

Vor 120 Jahren wurden die deutschen Sozialgesetze begonnen und seitdem wurde das System fortentwickelt fortgeschrieben und immer komplexer. Die Sozialgesetzgebung ist unübersichtlich und überkomplex geworden. Es gibt nicht einen Menschen in Deutschland, der den kompletten Überblick hat und sich in allen Bereichen auskennt. Das ursprünglich Ziel der Sozialgesetzgebung war Otto von Bismarcks Antwort an sozialistische Strömungen im Rahmen der Umwälzungen, die im Rahmen der Industrialisierung auftraten. Es wird Zeit dieses alte System komplett zu ersetzen und mit etwas neuem und besseren der Herausforderung unserer Zeit zu begegnen.

Dies kann selbstverständlich nicht dadurch geschehen, dass das alte System von heute auf morgen einfach abgeschafft wird. Dazu greift die derzeitige Sozialgesetzgebung in vielzuviele Strukturen und Aufgabenbereiche ein und es gibt viel zu viele Rechtsansprüche aus vergangenen Zeiten, die nur mit Hilfe einer Wahlfreiheit geändert werden könnten. Eine Möglichkeit für den Übergang wäre, die alten Gesetze eingefroren bestehen zu lassen.
Das SGB gilt dann noch zwanzig bis dreißig möglicherweise auch vierzig Jahre in einem eingefrorenen Zustand als konkurrierende Gesetzgebung fort. Danebengestellt würde ein komplett neues System, das nicht nur völlig anders ist, sondern tatsächlich die eigentlichen Probleme angeht, die jeden Menschen berühren. Der Staat muss letztlich eigentlich nur die soziale Sicherheit für jeden seiner Menschen, die auf seinem Staatsgebiet sind, herstellen.

Der Staat hat nicht die Aufgabe für den Reichtum einiger weniger zu sorgen, sondern lediglich die Armut und Not von allen Bürgern abzuhalten und für den gemeinschaftlichen Wohlstand aller zu sorgen und somit eine soziale Sicherheit aller zu gewährleisten. Die Bedürfnisse des Einzelnen mögen hierbei je nach Lebenslage unterschiedlich sein, sodass zwar verschiedene Bereiche geregelt werden müssen, aber gar nicht so unterschiedlich was die grundlegenden Bedürfnisse eines jeden Menschen anbelangt. Ein Kindeswohl unterscheidet sich vom Alterswohl oder vom Behindertenwohl. Wer möchte bestreiten, dass die Bedürfnisse eines Rollstuhlfahrers andere sind als die eines Fußgängers und dennoch ist das Grundbedürnis der Wunsch nach Mobilität letztlich das Gleiche nur kann der Fußgänger diesem Bedürfnis ohne finanzielle Aufwendungen sofort nachkommen. Eine soziale Gleichstellung kann also niemals eine Gleichmacherei sein.

Die Unterschiede allerdings, die in der deutschen Sozialgesetzgebung besteht, stellen aber keine soziale Gleichstellung aller Bürger her. Sie sind eher eine Gleichmacherei nach Berufskasten wie es das Weltbild von 1890 halt vorsah. Es ist dringend an der Zeit, dass wir dieses Kastensystem abschaffen.

Um ein Beispiel zu geben seien die privatisierten Postdienste genannt, ob jemand die Post verbeamtet austrägt (von denen es wahrscheinlich keine mehr gibt) oder als angestellter Dienstleister austrägt macht einen Unterschied, der aber nichts mit sozialer Gleichstellung zu tun hat, sondern einzig alleine auf den Vorstellungen von 1890 beruht. Die daraus resultierenden Altersversorgungsunterschiede sind in der Zwischenzeit immens und die Gleichmacherei besteht darin, dass alle Beamten gleich behandelt werden und alle Angestellten gleich behandelt werden, aber der Mensch selbst gar nicht im Mittelpunkt steht.

Der Status des einzelnen Menschen und seine Kastenzugehörigkeit ist das Kriterium der Gleichmacherei und nicht seine objektiven tatsächlichen Bedürfnisse. Eine Gleichstellung des Menschen und seiner jeweiligen Bedürfnisse wird abgelehnt. Nicht seine Bedürnisse stehen im Mittelpunkt, sondern beurteilt werden, ob ein Anspruchsberechtigter für den Staat oder für den privaten Postdienstleister die Post ausgetragen hat. In dem einen Fall erhält er Pension in dem anderen Fall erhält er Rente. Selbst wenn gar keine Unterschiede in der Lebensarbeitsleistung bestünden, mag der eine seine Wohnung im Alter nicht bezahlen können und der andere mit seiner Pension seinen Lebensabend in Mallorca verbringen.

Zu Bismarcks Zeiten war es so, dass Beamte wesentlich weniger verdienten als in der freien Wirtschaft, das ist in vielen Fällen heutzutage nicht mehr der Fall eher das Gegenteil ist in vielen Fällen der Fall. Verbeamtete Lehrer werden auch in den Sommerferien bezahlt und beschäftigt und angestellte Lehrer werden in dieser Zeit auf die Straße gesetzt. Der Druck auf die nicht verbeamteten Lehrer in der Unsicherheit mag in dem Erstreben verbeamtet zu werden, dann durchaus dazu führen, dass die Arbeitsleistung dieser Angestellten sogar besser ist, als die der Verbeamteten, weil die Verbeamteten zwar keine Karriere machen, wenn sie zu den Nichtleistern gehören, aber solange sie Dienst nach Vorschrift machen nicht nur mehr Geld während ihres Arbeitslebens haben, sondern eben zum Schluss auch eine höhere Pension.

Gleichgemacht werden also alle Beamte und alle Angestellten bei aber rational nicht nachvollziehbaren Kriterien, sondern gesellschaftlichen Konstrukten, die historisch gewachsen sind. Es gibt in der Sozialgesetzgebung auch noch viele andere Bereiche, die nichts mit dem Staatsdienst zu tun haben, wo dieses ähnlich läuft. Es kann ganz entscheidend sein, ob ein Unfall im Haushalt oder auf der Arbeitsstelle passierte. Die Bedürfnisse für die Unfallopfer sind eigentlich identisch. Aber schon die Abweichung vom Arbeitsweg kann in der Versorgung entscheidende Unterschiede machen. Auch dahingehend ob es eine Unfallopferrente von der Berufsgenossenschaft gibt oder aber eben keinen Cent. Um solche Streitfälle zwischen Berufsgenossenschaften und Krankenkassen zu klären, werden ganze Horden von Bürokraten beschäftigt, die sich mit Gutachten und Gegengutachten nur um solche Streitfälle kümmern. Die Bedürfnisse des Unfallopfers stehen dabei überhaupt nicht im Mittelpunkt, sondern letztlich nur welche Versicherung zuständig ist. Soziale Sicherheit wird damit nicht hergestellt. Fehlentscheidungen sind dabei aufgrund der komplexen Gesetzgebung an der Tagesordnung und manche Fälle werden in Gerichtsprozessen manchmal erst nach 30 Jahren geklärt. Da kann es bei einem Unfall entscheidend sein, ob die Briefmarke im Kiosk für den Arbeitgeber gekauft wurde und damit auf dem Weg zur Arbeitsstelle lag und es somit ein Arbeitsunfall war, oder ob das Unfallopfer diesen Vorgang privat erledigt hat. Dass das Unfallopfer selbst Bedürfnisse hat, spielt dabei überhaupt keine Rolle. Und in manch krassen Fällen wird der Prozess auch bewusst verschleppt in der Hoffnung, dass das Unfallopfer bis zu der Beendigung stirbt, was besonders zynisch ist.

Der Mensch selbst steht in der Sozialgesetzgebung gar nicht mehr im Mittelpunkt. Das verhält sich in fast allen Bereichen in der Zwischenzeit so. Ebenso bei den Arbeitslosen, bei dem der Staat nur noch einen Kontrollwahn entwickelt hat, der sich nicht nach den tatsächlichen Bedürfnissen von Kindern richtet, sondern einzig alleine nach dem finanziellen Aufwand für die Bedarfsgemeinschaft. Sobald sich die Eltern des Kindes aus der Arbeitslosigkeit befreit haben, gibt es Baukindergeld, Kindergeld und andere Leistungen oben drauf. Solange die Eltern des Kindes unter einer Bedarfsgrenze liegen, wird dem Kind die Förderung weggenommen. Die Bedürfnisse des Kindes spielen dabei überhaupt gar keine Rolle. Einzig alleine der soziale Status der Eltern wird als Kriterium im Kastendenken von 1890 in einer Gleichmacherei herangezogen. Wir haben eine fast schon mittelalterliche Sozialgesetzgebung, die von einem Klientel, das davon lebt mit allem verteidigt wird, was ihnen zur Verfügung steht.

Eine Reform der Sozialgesetzgebung wird gerade von denjenigen nicht gewünscht, die in den Parlamenten sitzen. Aufgrund der Vorteile, die sich eine Beamtenschaft verschafft hat, sind genau jene überrepräsentiert, die von dem System profitieren. Die Idee also, die Sozialgesetzgebung grundlegend zu reformieren, wird keine Chance haben. Dennoch wäre es dringend notwendig, sonst fliegt uns nämlich das Gesamtsystem und die soziale Sicherheit um die Ohren. Der Egoismus jener, die dafür gesorgt haben, dass sich die letzten 120 Jahre nichts geändert hat, sollte aufhören. Sie sollten sich vor Augen führen, dass die französische Revolution letztlich unendliches Leid nicht nur über die Revolutionäre gebracht hat, sondern auch auf diejenigen, die sich in ihrem Adelsstand als Elite in dem Glauben wähnten, dass sich nichts ändern würde. Diese beriefen sich damals auf Gott. Heute predigt man die Leistung – die in Wirklichkeit gar keine ist, sondern nur eine imaginäre Einbildung, die die wirklich etwas tagtäglich leisten, werden in Wahrheit am schlechtesten bezahlt.

Leider scheint es mir als einen einzelnen Menschen unmöglich ein Sozialgesetz zu schreiben, das allen Ansprüchen genügt. Die Kriterien dafür sind allerdings relativ einfach. Wenn alle Menschen frei sind und gleich an Würde und Rechten geboren sind, dann haben sie je nach ihren Bedürfnissen auch die gleichen Ansprüche. Wenn nun der Anspruch Mobilität ist, siehe obiges Beispiel Rollstuhlfahrer und Fußgänger, dann ist um diese Gleichheit herzustellen, dafür Sorge zu tragen, dass jener Mensch, der seiner Mobilität nicht nachkommen kann, weil er Gehbehindert ist, einen Anspruch auf einen kostenlosen Rollstuhl hat. Es spielt dabei nun keine Rolle, ob er diesen Rollstuhl aufgrund eines Unfalls oder Unglücks braucht oder aber von Geburt an, es geht um sein Bedürfnis nach Mobilität.

Wenn alle Menschen frei sind und gleich an Würde und Rechten geboren sind, dann sollte es auch keine Rolle spielen, in welchem Status seine Eltern leben und in welchen Status dieser Mensch hineingeboren ist. Ein reiches Kind hat exakt dieselben Grundbedürfnisse wie ein armes Kind. Wenn die Eltern, aus welchen Gründen auch immer, von der Windel bis zum Schulbedarf nicht die finanziellen Mittel haben, dann hat der Staat die Familie eben zu unterstützen. Im Zweifel ist es sogar billiger die Eltern entsprechend auszustatten als hinterher für die sozialen Folgeschäden aufzukommen. Wenn ein Jugendlicher aufgrund armer Verhältnisse auf die schiefe Bahn gerät, weil er als Kind letztlich unterversorgt wurde, dann kostet das den Staat über 4000 Euro im Monat. Es ist Sparen am falschen Ende des Sozialsystems.

Wenn alle Menschen frei sind und gleich an Würde und Rechten geboren sind, dann sollte es auch kein Problem sein, diese Würde im Alter aufrecht zu erhalten. Letztlich spielt es keine Rolle, ob er die Post als Angestellter oder als Beamter ausgetragen hat. Ein alter Mensch hat das Recht und die Würde verdient, genauso versorgt zu werden. Es spielt noch nicht einmal eine Rolle, ob seine Armut selbst verschuldet oder fremd verschuldet ist. Als Teil der sozialen Gemeinschaft hat er Anspruch, dass seine Grundbedürfnisse erfüllt werden. Wir sind alle Teil eines sozialen Systems und wer welche Leistung erbringt, ist für die Gesamtgemeinschaft unerheblich. Ja wir können es zur Lebzeit eines Menschen noch nicht einmal sagen, wer die tatsächlich größten Leistungen vollbracht hat. Die Millionäre zu Zeiten von Vincent van Gogh haben sich mit Tulpenzwiebeln beschäftigt, die heute keinen Menschen mehr interessieren. Von den heutigen Cum-Cum und Cum-Ex Millionäre wird in hundert Jahren auch kein Mensch mehr was wissen wollen, sie haben keine Leistung vollbracht, sondern einfach nur die Gemeinschaft betrogen. Angesichts dieser Ungerechtigkeiten sollte der Staat wenigstens dafür Sorge tragen, dass alle Mitglieder einen Anspruch auf ihre grundlegenden sozialen Bedürfnisse haben. Die Welt wird niemals gerecht sein, aber sie kann für alle Menschen ein besserer Platz für uns alle sein, wenn wir die Welt so gestalten.