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Liberal

Der folgende Text ist geklaut (https://wiki.piratenpartei.de/Benutzerin:Solsken ) und nicht von mir. Er ist aber so gut, dass ich ihn verbreiten möchte:

„Das Sündenregister der Heilslehren

Die Geschichte der Heilslehren ist Geschiche ihrer Sünden. Die von Christen vollbrachte Revolution der Liebe, deren unfassbare Größe das Gebot nicht nur der Nächsten-, sondern der Feindesliebe ist, führte im Wechsel der Jahrhunderte zu Heiden-Abschlachtungen, Hexen-Verbrennungen, Ketzer-Verfolgungen, zum Segnen von Waffen, zur Anbetung von Macht, zum Heiligsprechen von Besitz. Soweit übersehbar, ist die Menschheit nach zweitausend Jahren Christentum nicht besser geworden oder, anders ausgedrückt, Gott nicht nähergekommen. Trotzdem wäre es unfair, über das Christentum mit seiner Geschichte der Demütigungen, Opfer und Entsagungen, seinen kulturellen und sozialen Leistungen allein anhand seiner Fehlentwicklungen urteilen zu wollen.

Die von Karl Marx eingeleitete Entwicklung zum Sozialismus, deren Kern die Befreiung des Menschen von der Ausbeutung durch den Menschen ist, brachte im Verlauf eines Jahrhunderts massenhafte Zwangsarbeit, Liquidation politischer Gegner und angeblich irrender Anhänger, die schrankenlose Herrschaft eines Tyrannen, Systeme der Repression und einer grandiosen Bevormundung, sowie institutionalisierte Bürokratenherrschaft. Soweit übersehbar, löst der Sozialismus in dem von ihm bisher geprägten Gesellschaften nicht die Fragen und hebt die Widersprüche nicht auf, aus denen heraus er entstanden ist. Trotzdem wäre es unfair, den Sozialismus nur anhand seiner Fehlentwicklungen, und nicht auch im Angesicht seiner vorbildlichen sozialen Modelle, seiner Bemühungen um den unterprivilegierten Menschen, seiner wirksamen Herausforderung an die Welt des Kapitalismus und Kolonialismus zu werten.

Der Nationalismus wollte das Bild von der Freiheit und Unabhängigkeit des Menschen auf deren Gemeinschaften, die Nationen, übertragen. Im Namen der Freiheit der Völker hetzte er die Völker in ungeheuerlichen Vernichtungsschlachten aufeinander. In seiner höchsten Konzentration, dem Nationalsozialismus, schlug er zugleich in seine schlimmste Perversion um und besudelte das Buch der Geschichte der Menschheit mit der grausigen Erfahrung industrieller Anlagen zur massenweisen Tötung wehrloser Menschen. Es fällt danach schwer, dem Nationalismus Fairness angedeihen zu lassen, obwohl er noch heute seine Apologeten findet. Das umstrittene Verdienst des Nationalsozialismus besteht neben der Aufhebung feudaler Kleinherrschaft darin, sich durch seine Übersteigerung selbst widerlegt und damit seinen Weg zu seiner Überwindung freigemacht zu haben.

Selbst wenn man im Liberalismus nicht die ewige Frage nach der Freiheit und Würde des Menschen zu sehen vermag, sondern nur die geschichtliche Periode etwas von der Zeit des Humanismus und der Aufklärung über die große Französische Revolution bis hin zum Hochkapitalismus, sind seine Sünden vergleichsweise gering. Er hat nach seinem großen und erfolgreichen Kampf um geistige Freiheit, bürgerliche Rechte und verbriefte Verfassungen teilweise versagt ließ sich als Interessenvertreter privilegierter Schichten missbrauchen, erstarrte bürgerlich-konservativ und trägt Mitverantwortung an den Sünden des Frühkapitalismus, an Kinderarbeit, Menschenausbeutung und ungerechter Vermögensverteilung. Das wird allerdings durch die Tatsache gemildert, dass die Ideen und Initiativen zur Überwindung dieser Übel – Genossenschaftsgedanke, Gewerkschaftsbewegung, allgemeine Volksbildung, Sozialversicherung – auch im Schoße des Liberalismus geboren wurden. Es gab christliche Tyrannei, sozialistische Diktatur, und nationalistische Zwangsherrschaft. Es ist aber unmöglich, diese Begriffe aus der menschlichen Elendsgeschichte mit dem Adjekiv liberal zu versehen. Liberale Tyrannei, freihetiliche Zwangsherrschaft – das wäre eine contradictio in adjectu, ein Wiserspruch in sich.

Am Gegenbeispiel wird dieser Gedankengang noch deutlicher. Das Adjektiv liberal ist in jeder Beziehung ein schmückendes Beiwort. Es kann liberalen Kommunismus geben, eine liberale Kirche, liberale Kräfte in einer Diktatur, liberale Strömungen in anderen Weltanschauungen. Wo der Liberalismus in den Bereich anderer Geisteshaltungen eindringen konnte, hat er sie entabuisiert, relativiert, humanisiert.

Das ist, in kurzen Worten, der historische Befund. Trotzdem haben sich christlicher Konservatismus sowie Sozialismus und Nationalismus aller Schattierungen immer wieder in der, von ihrem Podest aus mehr als pharisäischen, Anklage des Liberalismus vereinigt. Bei aller Gegensätzlichkeit, ja Todfeindschaft untereinander, hegen und pflegen sie die gemeinsame Wurzel ihres Anti-Liberalismus.

Man könnte sich leicht über diese Un-Verschämtheit erregen und diese auf das gemeinsame Bewusstsein der Last der eigenen historischen Verfehlungen zurückführen. Doch das wäre zu einfach. Historische Hypotheken lassen sich abtragen, geschichtliche Verfehlungen verblassen oder werden zumindest verdrängt. Der Anti-Liberalismus aber leider ist höchst lebendig und hat Zukunft. Er wurzelt in der Eifersucht auf die relative historische Schuldlosigkeit des Liberalismus gegenüber dem eigenen Versagen, sondern in der ständigen Provokation jeder Lehre und jeder Ordnung durch den Liberalismus. Um das näher zu erklären, muss man wissen, was Liberalismus eigentlich heißt.“